Taiwan hat den letzten aktiven Atomreaktor abgeschaltet und erfüllt damit ein zentrales Versprechen der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) aus dem Energieplan von 2016. Dieser sah einen Atomausstieg bis spätestens 2025 vor. Die Entscheidung wurde stark durch die Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima im Jahr 2011 beeinflusst. Der Schritt markiert einen bedeutenden Wandel in Taiwans Energiepolitik.
Bereits 2018 und 2021 wurden zwei ältere Kernkraftwerke stillgelegt. Im Juli 2024 folgte der erste Reaktor des Kernkraftwerks Maanshan. Während die Atomkraft früher bis zu 50 Prozent des taiwanesischen Stroms lieferte, lag ihr Anteil 2024 nur noch bei rund drei Prozent. Laut dem staatlichen Energieversorger Taipower stammten im letzten Jahr 82,1 Prozent des Stroms aus fossilen Quellen. Erneuerbare Energien machten 11,9 Prozent des Strommixes aus.
Premierminister Cho Jung-tai betonte, dass die Stromversorgung trotz wachsender Nachfrage durch Branchen wie die Halbleiterindustrie und Anwendungen im Bereich künstlicher Intelligenz gesichert sei. Der Reservepuffer werde zwar durch die Abschaltung etwas sinken, liege aber weiterhin über den sicherheitsrelevanten Schwellenwerten. Taipower plant die Inbetriebnahme von vier neuen Gaskraftwerken im laufenden Jahr und will den Anteil erneuerbarer Energien bis 2026 auf 20 Prozent erhöhen.
Vor der Abschaltung äußerten Kritiker Zweifel daran, ob Taiwans wachsender Energiebedarf ohne Atomkraft dauerhaft gedeckt werden könne. Angesichts der politischen Spannungen mit China sehen manche Experten eine diversifizierte Energieversorgung als wichtig für die Unabhängigkeit des Landes. China betrachtet Taiwan als Teil seines Staatsgebiets und schließt eine gewaltsame Vereinigung nicht aus.
Das taiwanesische Parlament beschloss kürzlich eine Gesetzesänderung, die eine Laufzeitverlängerung stillgelegter Atomreaktoren um bis zu 20 Jahre erlaubt, vorausgesetzt die Sicherheit ist gewährleistet. Premierminister Cho wies darauf hin, dass eine Wiederinbetriebnahme neue gesetzliche Grundlagen und technische Prüfungen erfordern würde. Die Regierung konzentriert sich derzeit jedoch auf den Ausbau erneuerbarer Energien und den vollständigen Atomausstieg.