Inmitten wachsender internationaler Spannungen üben die USA und große Technologiekonzerne massiven Einfluss auf den geplanten KI-Kodex der Europäischen Union aus. Ein Schreiben der US-Vertretung bei der EU kritisiert den Kodex scharf. Die Regierung von Präsident Donald Trump stuft die geplanten Regeln als innovationsfeindlich ein. Auch europäische Beobachter warnen: Der Einfluss großer Tech-Unternehmen gefährdet eine faire und sichere Gestaltung der Künstlichen Intelligenz.
US-Regierung kritisiert europäische KI-Pläne
Die EU-Kommission plante ursprünglich, ihren KI-Kodex im Mai 2025 zu veröffentlichen. Dieser soll Leitlinien für den Umgang mit generativer Künstlicher Intelligenz setzen. Doch laut einem offiziellen Schreiben aus Washington D.C. gefährdet der Entwurf aus Sicht der USA wirtschaftliches Wachstum und technologische Innovationen.
Ein Sprecher der Kommission bestätigte den Erhalt des Schreibens, äußerte sich jedoch nicht zum möglichen Einfluss auf den weiteren Zeitplan. Interne Quellen berichten von wachsendem politischen Druck, der eine Veröffentlichung vor Juni 2025 unwahrscheinlich macht.
Große Technologiekonzerne mit direktem Zugang
Ein Bericht des Corporate Europe Observatory (CEO) und der deutschen Organisation LobbyControl enthüllt die enge Einbindung großer Tech-Firmen in den Erstellungsprozess des KI-Kodex. Unternehmen wie Google, Amazon, Microsoft und OpenAI nahmen an mehreren geschlossenen Sitzungen mit Arbeitsgruppenleitern der EU teil.
Diese Treffen fanden hinter verschlossenen Türen statt – Vertreter der Zivilgesellschaft, kleinerer Firmen und der Medien waren ausgeschlossen. Laut CEO-Forscher Bram Vranken begünstigt diese Praxis einseitige Interessen: „Die EU setzt klar auf Wettbewerbsfähigkeit. Doch das öffnet aggressiver Lobbyarbeit Tür und Tor.“
Wenig Raum für Zivilgesellschaft
Die Kommission hatte im Herbst 2024 dreizehn Expertinnen und Experten mit der Ausarbeitung des Kodex beauftragt. Es wurden rund 1.000 Teilnehmende zu Workshops und Plenarsitzungen eingeladen. Doch viele Interessengruppen durften nur über Plattformen wie SLIDO mit Emoji-Voting teilnehmen.
Laut CEO und LobbyControl besteht dadurch ein Machtungleichgewicht. Anstatt alle Stimmen gleich zu behandeln, wurde vor allem den großen Tech-Konzernen ein direkter Draht zur Politik ermöglicht. Die ursprüngliche Idee – eine starke Regulierung großer KI-Modelle – sei dadurch gefährdet.
Rechteinhaber schlagen Alarm
Auch Vertreter der Medienbranche und Rechteorganisationen zeigen sich alarmiert. Sie befürchten, dass der Kodex bestehende Urheberrechte aushebeln könnte. Denn generative KI nutzt oft Texte, Bilder und Musikwerke aus frei zugänglichen Quellen – ohne klar geregelte Vergütung an die Urheber.
Ein weiterer Streitpunkt ist die fehlende Transparenz: Viele Zwischenschritte im Gesetzgebungsprozess sind nicht öffentlich einsehbar. Kritiker fordern deshalb ein stärkeres Mitspracherecht für kleine Unternehmen, Wissenschaft und die allgemeine Öffentlichkeit.
Veröffentlichung wohl erst im Juni
Die ursprünglich für Mai geplante Veröffentlichung des KI-Kodex wird sich nach aktuellem Stand verzögern. In der jüngsten Konsultation zu den GPAI-Leitlinien (Generative AI Guidelines) kündigte die Kommission beide Veröffentlichungen nun für das zweite Quartal 2025 an – ohne ein konkretes Datum zu nennen.
Zugleich wächst der Druck auf die Politik. Immer mehr Beobachter fordern, dass alle gesellschaftlichen Gruppen gleichberechtigt in den Entstehungsprozess eingebunden werden müssen. Nur so könne Vertrauen in die Regulierung von Künstlicher Intelligenz geschaffen werden.
Der EU-Kodex für Künstliche Intelligenz steht am Scheideweg. Internationale Kritik, starker Lobbyeinfluss und mangelnde Transparenz bedrohen die Glaubwürdigkeit des Projekts. Für eine zukunftsfähige KI-Regulierung braucht es jetzt vor allem eines: Offenheit, Fairness und den politischen Willen, nicht nur den Stärksten Gehör zu schenken.